Wenn ich hier so sitze, auf der Terrasse mit Blick auf den Kakao Hain, das Rauschen der Bäume höre und mir einbilde, dass ich auch das Wispern der Maya-Geister im Wind wahrnehme, denke ich manchmal an meine Zeit in Indien, ein anderes Land, eine andere Zeit. Indien. Ein Ort, der für mich wie ein Spiegel war, der nicht nur die Welt um mich herum zeigt, sondern mich geöffnet hat für all das, was in mir verborgen liegt – meine Wünsche, meine Ängste, das Unerforschte. In diesen Spiegel schauend, lernte ich damals, dass die Welt, die ich sehe, vielleicht nicht die Welt ist, die wirklich existiert.
In Indien habe ich zum ersten Mal ein Gefühl dafür bekommen, was Maya bedeutet. Es ist nicht nur ein Wort, sondern ein Zustand, ein Nebel, der sich zwischen uns und die Wirklichkeit legt, wie der Nebel, der manchmal hier in Santa Maria de Cahabon über den Dschungel zieht, der die Farben und Konturen verschwimmen lässt. Maya – die Illusion, die uns glauben macht, wir wären getrennt, voneinander, von der Erde, von uns selbst. In Indien, begann ich zu ahnen, dass alles, was wir für fest und unverrückbar halten, eigentlich nur ein Spiel der Wahrnehmung ist, eine Projektion unseres Geistes, unserer eigenen Geschichte.
Nun, hier in Cahabon, umgeben von den Menschen, die sich Maya nennen, die Nachkommen der Maya sind, wird dieser Gedanke den ich damals in Indien hatte, für mich wieder lebendig, aber auf eine andere, sanftere Weise. Die Menschen hier tragen diese Weisheit in sich, eine Weisheit, die ohne Worte auskommt, die in der Art und Weise liegt, wie sie ihre Hände in die Erde graben, wie sie das Flüstern der Bäume verstehen, wie sie den Sternen lauschen. Für die Maya ist die Natur keine Kulisse, sondern ein Teil ihrer eigenen Geschichte, ein lebender, atmender Spiegel, der ihnen zeigt, wer sie sind. Und auch ich fühle mich, wenn ich hier auf dem Feld bin, oder auf der Terrasse sitze und in das weite Grün blicke, ein wenig mehr als Teil dieser Geschichte, ihrer Geschichte.
Es ist das Nahual Etz’nab, das mich wieder erinnert: Die Illusion ist wie ein Spiegel. Etz’nab, ist ja das Symbol für den scharfen, reflektierenden Stein, Etznab
ist eine Einladung, die Wahrheit klar und direkt zu erkennen. Mir zeigt die Auseinandersmit dem was hinter Etz`nab steht, dass die Welt, die ich wahrnehme, womöglich nicht die letzte Realität ist, sondern eine spiegelnde Oberfläche, in der wir uns selbst erkennen können, mit all unseren Ängsten und Projektionen. Der Spiegel von Etz’nab zeigt mir, wie oft ich meine eigenen Schatten für die Wirklichkeit halte, wie ich meine inneren Konflikte auf das Äußere projizieren und glauben, die Illusion sei alles, was existiert.
Vielleicht besteht die wahre Aufgabe ja nicht darin, die Illusion von Maya oder den Spiegel von Etz’nab vollständig abzulegen – vielleicht geht es nicht darum, die Welt ohne Schleier zu sehen, sondern vielmehr darum, die Schönheit dieser Schleier zu verstehen und den Spiegel mutig zu betrachten. Diese Spiegel, diese Schleier, sind das, was uns zu Menschen macht, das, was uns Grenzen zeigt, die wir doch gleichzeitig durchdringen können. In diesem Wechselspiel, in diesem unaufhörlichen Tanz zwischen dem, was wir sehen, und dem, was dahinter liegt, verstehe ich immer mehr, dass es keinen Gegensatz gibt, nur Ebenen des Verstehens, Schichten von Wahrheit.
Indien hat mir Ansätze gezeigt, wie ich mit meinem eigenen Inneren sprechen kann, wie ich durch Meditation und Achtsamkeit die Muster in meinem Kopf erkenne, die so oft die Sicht auf die wahre Natur verstellen. Cahabon und das die Beschäftigung mit der Maya Kultur lehren mich, wie ich diese Einsichten in die Welt tragen kann – wie ich mich vor dem Spiegel nicht fürchte, sondern meine eigenen Projektionen darin erkenne. Mein Leben hier lehrt mich, die Illusion nicht als Hindernis, sondern als Brücke zu verstehen – eine Brücke, die das Herz mit der Erde verbindet, das Selbst mit dem Ganzen.
Hier, zwischen diesen Welten habe ich begriffen, dass die Illusion, dass meine Illusion kein Feind ist, sondern eine Einladung. Eine Einladung, durch die Spiegel hindurchzublicken und das Wunder zu finden, das in jedem von uns liegt.