Die Kunst, meine innere Energie zu wählen: Meine Begegnung mit Viktor Frankls Freiheitsgedanken und der Weisheit von Chuwen
Ich erinnere mich an Tage, an denen ich aufwache und das Leben mir förmlich zuschreit: „Geh hinaus, erobere die Welt, du hast alle Kraft der Welt in dir!“ An solchen Morgen sprudelt meine Energie, als wäre sie eine unerschöpfliche Quelle, die mich ganz selbstverständlich begleitet. Ich fühle mich lebendig, eins mit meinem Körper, mit meinem Geist, mit meinen Plänen. Fast von selbst springe ich aus dem Bett, als wäre jeder Schritt, den ich mache, von einem kraftvollen, inneren Motor angetrieben.
Doch genauso erlebe ich auch die anderen Tage. An ihnen liegt meine Energie scheinbar hinter dicken Mauern verborgen. Dann spüre ich morgens eine Schwerfälligkeit, die sich über meine Gedanken legt wie ein grauer, dichter Nebel. Meine Motivation scheint irgendwohin verschwunden zu sein, noch bevor ich überhaupt die Augen richtig geöffnet habe. Ich frage mich: „Wo ist diese sprühende Lebendigkeit hin? Warum fühle ich mich so leer, so fern von mir selbst?“
Ich bin der Schöpfer meiner Energie
Genau hier, in diesen Momenten, habe ich etwas Entscheidendes gelernt: Ich habe die Wahl, wie ich auf dieses Gefühl reagiere. Ich muss nicht warten, bis mich die Laune des Tages, meine Stimmung, meine innere Verfassung auf ein gewünschtes Energielevel hebt. Stattdessen darf ich handeln, als wäre die Energie schon da. Nicht, um mich selbst zu täuschen, sondern um mir bewusst zu machen, dass ich einen kleinen, aber sehr wichtigen Spielraum besitze. Zwischen dem, was ich als Reiz wahrnehme – der scheinbaren Energielosigkeit – und meiner Reaktion darauf liegt ein kostbarer Augenblick voll innerer Freiheit.
Diese Erkenntnis kam nicht von ungefähr. In seinem Buch "Und trotzdem ja zum Leben sagen" von Viktor E. Frankl. beschreibt er seine Zeit im Konzentrationslager. Er, der in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkriegs einen schier unvorstellbaren Mangel an äußerer Freiheit erlebte, zeigte mir durch sein Buch, dass es selbst unter den schrecklichsten Umständen eine letzte Freiheit gibt, die uns niemand nehmen kann: die Freiheit, meine innere Haltung zu wählen. Wenn Frankl in der entsetzlichsten Situation an seiner Würde und Menschlichkeit festhalten konnte, dann kann auch ich in meinen sehr komfortablen Lebensumständen entscheiden, ob ich mich meiner Stimmung ergebe oder mich bewusst für eine andere Einstellung entscheide.
Mich hat diese Erkenntnis verändert. Frankl hat mir gezeigt, dass wir nicht passiv den inneren Wetterwechseln unterworfen bin. Ich erlebe es im Alltag: Die Tatsache, dass ich an manchen Morgen kein Feuer in mir spüre, heißt noch lange nicht, dass ich kein Feuer entfachen kann. Ich muss nicht auf den „richtigen“ Impuls von außen warten. Ich darf selbst dafür sorgen, den Funken der Energie zu zünden, auch wenn er zunächst nicht sichtbar ist. So trete ich aus der Rolle eines Opfers meiner Tagesform heraus und werde zum Schöpfer meiner eigenen Lebenswirklichkeit.
Universelle Weisheiten
Diese Idee ergänzt sich wunderbar mit einer anderen Inspirationsquelle, der Weisheit von „7 Chuwen“ aus der Mayatradition. Obwohl ich mich nicht tief in die komplexen Maya-Kalendersysteme vertieft habe, genügt mir das grundsätzliche Bild, das 7 Chuwen vermittelt: Jeder Tag birgt ein kreatives Potenzial, das nur darauf wartet, von mir erschlossen zu werden. Es ist, als ob mir dieses Symbol sagt, dass ich stets neu beginnen, mich neu erfinden und meinen Tag mit meiner inneren Kraft füllen kann, egal, welche Stimmung mich gerade beim Aufwachen begleitet.
Wenn ich mir nun bewusst vorstelle, dass auch ein Tag, an dem die Energie scheinbar verschüttet ist, ein Tag des kreativen Neuanfangs sein kann, dann begreife ich etwas Wesentliches: Ich selbst darf entscheiden, „heute Energie zu sein“. Dieser Satz wirkt vielleicht schlicht, doch er ist für mich ein machtvolles Statement. „Ich wähle heute, Energie zu sein“ bedeutet, dass ich mich nicht länger von meinen Emotionen oder Befindlichkeiten treiben lasse. Stattdessen bekenne ich mich zur eigenen Schöpferkraft. Ich sage mir, dass ich selbst diejenige bin, die Energie hervorrufen, pflegen und leben kann.
Betrüge ich mich nur selbst?
In diesem Prozess ist das „so tun, als ob“ kein Schauspiel, sondern ein kreativer Akt der Selbstgestaltung. Wenn ich an einem trägen Morgen meine Augen öffne und mir sage, „Ich tue jetzt so, als wäre die Energie da“, dann ist das wie ein Einstimmen eines Instruments vor dem Konzert. Ich schaffe eine innere Resonanz, die langsam die Energie nach sich zieht. Es ist, als würde ich mich selbst liebevoll anstupsen, um mich in die richtige Richtung zu bewegen. Anfangs mag es ungewohnt sein, doch ich habe festgestellt, dass diese Haltung nach kurzer Zeit tatsächlich Wirkung zeigt. Je häufiger ich sie praktiziere, desto leichter wird es, in diesen Modus der inneren Wahl zu schalten.
Es geht dabei nicht um Verdrängung oder darum, unangenehme Gefühle zu überdecken. Ich gestehe mir ein, dass ich mich müde und energielos fühle. Aber ich erkenne auch, dass ich kein Gefangener dieses Gefühls bin. Vielmehr bin ich eine Gestalterin meiner inneren Welt. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis, aktiv in mein emotionales System einzugreifen und meine eigene Energiequelle anzuzapfen.
Am Ende geht es um Selbstverantwortung
Diese bewusste Selbstverantwortung fühlt sich für mich an wie ein Schlüssel zur inneren Freiheit. Statt darauf zu warten, dass mir das Leben Inspiration schenkt, produziere ich sie aus meiner eigenen Vorstellungskraft. Das hat nichts mit Selbstbetrug zu tun, sondern mit Selbstermächtigung. Ich lerne, dass ich im Grunde genommen jeden Tag, jedes Mal, wenn ich erwache, an einem Punkt des kreativen Neubeginns stehe. Wenn Frankl unter so extremen Bedingungen seine innerste Freiheit nicht verlor, warum sollte ich sie mir selbst vorenthalten, nur weil ich mich an manchen Tagen ein wenig schwerfälliger fühle?
Praktisch setze ich das um, indem ich meinen Morgen bewusst gestalte. Anstatt sofort zu urteilen, wie ich mich fühle, schenke ich mir zunächst ein paar ruhige Atemzüge. Dann sage ich innerlich: „Ich wähle heute, Energie zu sein.“ Manchmal folgt darauf ein Glas warmes Wasser mit Zitrone, ein paar Dehnübungen oder ein Spaziergang um den Block. Diese kleinen Rituale verankern meine Entscheidung, sie machen sie greifbar und unterstützen mich dabei, den gewählten Zustand der Energie nach außen zu tragen.
Wenn ich abends auf den Tag zurückblicke, frage ich mich oft: „Habe ich heute meine Energie gewählt? Habe ich mein Inneres bewusst in die Richtung gelenkt, die ich mir wünschte?“ Diese Reflexion zeigt mir, dass ich tatsächlich Einfluss habe. Ich bin nicht hilflos, nicht ausgeliefert, sondern kann jeden Tag neu bestimmen, wie ich mit meiner Stimmung umgehen möchte. Mit der Zeit wächst daraus ein tieferes Verständnis für den Wert der Selbstverantwortung und eine größere Verbundenheit mit meiner inneren Freiheit.
Und natürlich ist es so, dass es mir nicht immer gelingt. Manchmal, aber nur manchmal sind die inneren "Schweinehunde" zu stark. Aber wie bei allem, ist Training der Schlüssel.
Meine Energie wähle ich selbst
Letztendlich ist dieser schöpferische Prozess, diese bewusste Wahl meiner inneren Energie, für mich zu einem Akt der Selbstliebe geworden. Ich sehe es als die Erlaubnis, mir immer wieder neue Chancen zu geben, mich selbst auf eine höhere Frequenz anzuheben. In der Begegnung mit Frankls Freiheitsgedanken und der Weisheit von 7 Chuwen habe ich verstanden, dass ich in jedem neuen Tag, in jeder Situation, die Möglichkeit habe, mich neu zu definieren. Das „So-tun-als-ob“ wurde für mich zum Tor in eine Welt, in der ich selbst meine Energie erschaffe – und somit auch mein Lebensgefühl.
Heute weiß ich: Wenn ich mich entschieden habe, Energie zu sein, dann beginnt in mir eine leise, aber wachsende innere Melodie. Es ist die Melodie der Selbstbestimmung, des Mutes und der Wärme. Und sie erinnert mich daran, dass ich – in all meiner Menschlichkeit, mit all meinen Schwächen und Stärken – stets die Freiheit besitze, mich für das Leben, die Kraft und den Sinn zu entscheiden.